«Feminismus bedeutet immer schon Ökonomie. Virginia Woolf wollte ein Zimmer für sich allein, und das kostet Geld.» (Katrine Marçal, «Who Cooked Adam Smith’s Dinner?»)
Zu wenig Personal, ständig knappes Budget, zu viele Kinder: Zahlreiche ehemalige Mitarbeiterinnen der Kita-Kette Globegarden berichten der Republik von unhaltbaren Arbeitsbedingungen. Ihre Schilderungen sind drastischer als die von Betreuerinnen in anderen Kitas. Doch wer diese Branche kennt, weiss: Fast überall verdienen die Eigentümer kein Geld, leben von der Substanz – oder, eben, geben den Druck an die Angestellten weiter.
Wenn nun der Zürcher Sozialvorsteher Raphael Golta die Verantwortung für die Misere einseitig an die Eltern abschiebt und witzelt, in der Kita seiner Kinder sei das Essen jetzt auch nicht «die herausragende Eigenschaft» gewesen, und er koche zu Hause auch «öfters Spaghetti Carbonara», so hat er offenbar den Ernst der Lage nicht verstanden – sowohl was den Fall Globegarden als auch die Situation der gesamten Branche betrifft.
Die Probleme der Kitas sind systemisch, tief greifend und politisch gemacht – und was bei Globegarden passiert, ist eine Folge davon.
Selbst in der Kita-Hochburg Zürich schrieb 2014 fast jede zweite Krippe Verluste. Seither hat sich die Lage noch verschärft. Dank der finanziellen Aufbauhilfen des Bundes ist die Zahl der Kitas explodiert: von 8603 Betreuungsplätzen im Jahr 2014 auf inzwischen 10’860 Plätze. Gut für junge Eltern, für deren Umfeld und für Arbeitgeberinnen – schlecht für die Kinderkrippen: Viele kämpfen seither auch noch mit unbesetzten Plätzen.
Die naheliegende Lösung wäre, die Preise zu erhöhen. Doch das ist in vielen Gemeinden nicht möglich, ohne aus dem staatlichen Subventionssystem zu fliegen: In Zürich liegen die offiziellen Maximaltarife zurzeit bei 120 Franken pro Tag für ältere Kinder und bei 145 Franken für Kleinkinder unter 18 Monaten.
Damit es auch wirklich ankommt: Wir haben es hier mit einem politischen Problem zu tun. Und mit einem feministischen: einer verbreiteten und fundamentalen Geringschätzung jener Arbeit, die vor allem Frauen seit Jahrzehnten selbstverständlich hinter den Kulissen erledigen – sei es zu Hause oder in professionellen Kindertagesstätten.
Der Preis der Mütter
Wer glaubt, man könne einfach ein paar Räume mieten, zwei Praktikanten anstellen, und fertig sei eine völlig ausreichende Kleinkinderbetreuung für ein paar hundert Franken – der Zürcher Kantonsrat berät gerade wieder über höhere Gruppengrössen –, hat sich mit grosser Wahrscheinlichkeit noch nie Gedanken darüber gemacht, wie viel diese Arbeit eigentlich kostet.
Kinder anständig zu betreuen, ist unfassbar teuer. Und zwar auch dann, wenn Frauen sie zu Hause hinter den Kulissen erledigen – wo weder der Zürcher Kantonsrat noch Herr Golta sie sehen.
Ein Rechenbeispiel: Ein mittlerer Lohn für Frauen in einer durchschnittlichen Branche in der Schweiz beträgt rund 6000 Franken, also 1200 Franken (ein Fünftel davon) für jeden einzelnen Wochentag. Das bedeutet: Wenn eine Mutter beispielsweise jeden Dienstag zu Hause die Familienarbeit übernimmt, verzichtet sie damit auf ein Einkommen von 1200 Franken. Übernimmt sie drei Tage die Woche, macht das jeden einzelnen Monat satte 3600 Franken. Das ist der Wert ihrer Arbeit – in Zahlen ausgedrückt. Langfristig ist er sogar noch höher, weil mit zunehmender Erfahrung und Verantwortung im Job das Einkommen noch gestiegen wäre. Die Einbussen in der Vorsorge sind dabei noch nicht einmal einberechnet.
Ebenfalls dazu kommt die Unterstützung der Grosseltern, insbesondere der Grossmütter, die ihre Enkel oft ebenso selbstverständlich, unsichtbar und unbezahlt betreuen wie die Mütter. 160 Millionen Stunden übernehmen sie pro Jahr – das entspricht einem volkswirtschaftlichen Wert von 8 Milliarden Franken.
Wer nun glaubt, mit ein wenig Businesswissen müsse eine gute Kinderbetreuung doch für ein paar Franken am Tag zu haben sein, versetzt nicht nur all den hunderttausenden Frauen (und immer mehr Männern) einen Fusstritt, die diese Arbeit Tag für Tag machen.
Er versteht auch nicht viel von Wirtschaft.
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(20.12.2019)