Nein, danke, Adieu!

In der Pandemie war endlich Ruhe, jetzt geht es wieder los: Anfragen, Einladungen, Bitten – ärgerliche, unbezahlte Arbeit. Warum es so wichtig ist, Nein zu sagen.

Monatelang hatte ich Ruhe. Die Pandemie brachte viel Arbeit, ja, mit Kind und Homeoffice, Finanzen und Haushalt. Aber sie brachte auch Ruhe. Eine tiefe, klare Konzentration, die nur mit einem zu tun hatte: Nichts und niemand wollte etwas von mir.

Kein Büroschwatz, keine Abend­einladungen, kein Netz­werken hier und Podium dort, kein Kannst-du-vielleicht und Würdest-du-noch. Einfach nur ich, meine Nächsten, meine Arbeit, ein wenig Natur und ein paar Bücher. Also alles, pardon, was mir wichtig ist.

Ich war selten so zufrieden im Leben.

Und ich bin ganz bestimmt nicht alleine damit.

Als ich letzten Winter mit einer Psycho­therapeutin über die Belastungen sprach, die diese Pandemie für viele Menschen mit sich brachte – Existenz­ängste, Einsamkeit, Sorgen und Depressionen – sagte sie etwas Bemerkens­wertes: Nicht allen gehe es schlechter. Vor allem eine Gruppe unter ihren Klienten sei deutlich heiterer: Frauen, insbesondere erwerbs­tätige Mütter – endlich von der Erwartung befreit, überall vorbei­schauen, einspringen, sich kümmern zu müssen. Halt einfach nie, wirklich nie, allein zu sein. Keinen Gedanken zu fassen, die Tür nie schliessen zu können.

Über ein Jahr lang war Schluss damit. Und während – erinnern Sie sich? – viele Herren sich in frenetisch publizierten Leit­artikeln ihrer Bedeutung versicherten, den Verlust «sozialer Energie» beklagten oder ob ihrem Freiheits­verlust wütende Vereine gründeten, versank ich wie viele andere Frauen in ruhiger, konzentrierter Arbeit.

Mit all der Kraft, die sonst, nun ja, in dieser «sozialen Energie» aufgeht, die eben nicht magisch entsteht, sondern Arbeit ist. Unsichtbare, oft anstrengende, oft schlecht bezahlte Arbeit.

Und jetzt geht es also wieder los.

Ich soll Kaffee trinken, mich austauschen, brain­stormen. Vorbei­schauen, aushelfen, organisieren, treffen, nachfassen. Der ganze Karsumpel halt, der uns als schön und wichtig verkauft wird. Der ja auch tatsächlich schön und wichtig ist, immer mal wieder, manchmal aber auch einfach: Lärm, der mich davon abhält, einen Gedanken zu Ende zu bringen. Trivialitäten, die meine Zeit wegfressen, während die Immobilien­portfolios der Reichsten in derselben Zeit minütlich an Fett zulegen.

Genau das aber, beispiels­weise, interessiert mich. Genau darüber – warum die einen in dieser Krise wieder so viel reicher wurden, andere wieder ärmer – will ich mal ein paar Tage lang nachdenken und etwas dazu schreiben. Wenn ich damit fertig bin, will ich meinen Sohn und meinen Mann umarmen, und wenn ich auch damit fertig bin, mich mit interessanten Menschen ganz in Ruhe unterhalten oder vielleicht auch etwas Kluges lesen. Und dann, am Ende des Tages, will ich noch ein wenig Zeit und Kraft übrig haben, einfach so, für Schönes und für Schwieriges.

Darum, all Ihr lieben Menschen in meiner Inbox, gibt es von mir in den meisten Fällen ein Nein. (Und ab und zu ein überzeugtes Ja.) Ich übe das seit Jahren, und es ist in diesen Post-Pandemie-Zeiten besonders wichtig: Einfach ein Nein, ein Danke, ohne Sorry. Ich erweise damit nicht nur mir selber Respekt, sondern auch meinem Gegenüber. Und der Welt überhaupt.

Stellt euch vor, was entstünde, hätten alle ein bisschen weniger Lärm. Ein wenig mehr jener tiefen, klaren Konzentration; einen Raum, um einen Gedanken zu Ende zu bringen. Es wäre revolutionär, es ist revolutionär, und darum verteidige ich es mit Zähnen und Klauen.

(08.07.2021)

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