Je länger ich mich mit der Finanzbranche beschäftige – und im Grunde tue ich das aus familiären Gründen seit ich denken kann -, desto mehr erkenne ich ungeschriebene Merksätze, die in den Köpfen sitzen. Übrigens auch in den Köpfen vieler Journalisten. Und die gehen so:
Der Mensch ist ein Wolf unter Wölfen, und das Leben ist ein Überlebenskampf. Der stärkste siegt, die anderen werden gefressen. Es geht nicht um Freude, es geht um Krieg.
Wer das anders sieht, ist ein verträumter Schwachkopf, und das wird sich rächen. Bei der Jugend ist das verzeihlich, danach nur dumm.
Diese Überzeugungen äussern sich gerne in alten Links-Rechts-Zoten, etwa: “Wer mit 20 kein Sozialist ist, hat kein Herz. Wer es mit 40 noch ist, hat keinen Verstand.” Der Ausspruch wird abwechselnd dem französischen Politiker Georges Clemenceau (1841-1929) und dem britischen Premier Winston Churchill (1874-1965) zugeschrieben.
Nun hat Clemenceau aka Churchill Europas schlimmsten Krieg miterlebt. Das haben die heutigen Investmentbanker nicht. Aber wer sich mit ihnen unterhält, bekommt den Eindruck, dass es im Handelsraum ähnlich zugeht wie damals in Verdun. Oder, übrigens, wie damals im England des Thomas Hobbes (1588-1679), der inspiriert vom Bürgerkrieg den Menschen als des Menschen Wolf bezeichnete und nach einer eisern regierenden Staatsmacht verlangte.
Ich glaube zunehmend mehr, dass diese Merksätze uns in der heutigen Welt nicht weiterbringen. Es ist Kooperation, die den Menschen nein, nicht nur bunte Blumenwiesen, sondern Wohlstand bringt. Sogar die Ökonomie stellt mittlerweile fest (auch wenn das einige noch nicht gemerkt haben), dass der Mensch nicht rational und eigennützig ist, sondern hochgradig emotional, sozial und kooperativ. Das Internet schafft im Moment gerade die Bedingungen, dass Kooperation so einfach möglich ist wie noch nie zuvor in der Geschichte – und das wird unser aller Leben innerhalb der nächsten Generation fundamental verändern. Stark und zufrieden wird, wer teilen, zusammenarbeiten und seine Versprechen halten kann. Scheitern wird, wer seine Macht künstlich sichern, strategischen Krieg führen und dunkle Verstecke pflegen will. Abgesehen davon, dass das zutiefst unglücklich macht.
Aber vielleicht bin ich auch nur jung und habe keinen Verstand. Das ist eine erfreuliche Nachricht, schliesslich bin ich eigentlich objektiv gesehen inzwischen näher bei 40 als bei 20. Yay!
P. S. Zwei Ökonomen des MIT, die wohl bald einmal den Nobelpreis gewinnen, haben mich letztes Jahr mit einer wunderbaren Anekdote bestätigt: Arme Menschen kaufen sich oft lieber einen Fernseher, statt genügend zu essen. Weil der Mensch eben doch nicht vom Brot allein lebt.