Eine ganze Generation, schrieb Professorin Wampole in der "New York Times", hat sich in die Ironie verabschiedet. Ihr Text ist brilliant, und ich habe mich ausgiebig bedankt dafür.
Das Problem ist jedoch viel grösser. Es ist nicht einfach nur so, dass jungen Hipstern der Mut zur Ernsthaftigkeit fehlt. Es fehlt der ganzen Gesellschaft an Mut. Wir sind zu einem Haufen Feiglinge geworden.
Unser oberstes Prinzip ist die Absicherung; unser Lieblingsspiel der Symbolismus. Wir hassen Willkür, noch mehr hassen wir das Scheitern, und so verschliessen wir unsere Herzen und delegieren unsere Entscheide an Apparatismen.
Statt jemanden einzustellen, der uns klug und mutig scheint, lassen wir die Personalabteilung einen Kriterienkatalog erstellen und wählen den, für dessen Scheitern uns niemand einen Vorwurf machen kann.
Statt miteinander zu sprechen und zu streiten, rufen wir die Behörden. Die sperren den Hunderasen ab, verbieten das Rauchen, bestimmen den zulässigen Lärmpegel, stellen Schilder auf, entfernen falls nötig seltsame Menschen.
Statt zu schreiben, was wir finden, suchen wir einen Experten, der es für uns sagt oder einen Politiker. Der sagt etwas, ändert es danach aber vor Publikation noch ab, um keine Probleme zu bekommen. Das akzeptieren wir, weil auch wir keine Probleme wollen.
Unsere Wirtschaftschefs sagen sowieso gar nichts mehr, ihre Kommunikationschefs sagen es für sie, und die sprechen vorher mit den Anwälten. Das ist allerdings auch klüger, denn wenn die Chefs etwas Ehrliches sagen, bekommen sie danach Ärger mit ihren Branchenkollegen/ihren obersten Chefs/ihren Aktionären/den Medien.
Statt in ein neues Magazin/eine neue Firma/ein völlig verrücktes Zukunftslabor zu investieren, weil wir einfach spüren, dass es super wird, machen wir erstmal Marktforschung und Sitzungen. Ein Grossteil der danach letztendlich rausgewürgten Ideen scheitert. Das ist eigentlich kein Wunder, weil diese Ideen eben nicht mehr mutig sind, dafür aber ein umso besseres Argument für noch mehr Marktforschung. Wo doch so vieles scheitert.
Statt offen zu sagen, dass unvermeidbar Menschen unter uns mit Schizophrenie oder Pädophilie zu kämpfen haben, mit Angststörungen, Einsamkeit, Drogensucht, dämonisieren wir Amokläufer, Kinderschänder und Gefallene. Statt die Volksseuche Erschöpfungsdepression beim Namen zu rufen, nennen wir sie Burnout, um ihr das Stigma des Versagens zu nehmen.
Statt über einen bissigen Scherz auf unsere Kosten zu lachen, klagen wir den Hofnarr ein. Dies insbesondere dann, wenn der Witz gut war, weil er wie alle guten Witze von der Wahrheit sprach.
Statt gescheiterte Banken fallen zu lassen, kaufen wir sie auf. Statt Pharmafirmen ihre indirekten staatlichen Subventionen zu nehmen, rufen wir "Schluss mit Abzockern!". Statt offen zu sagen, dass viele unserer Bankkunden Steuerhinterzieher sind, und dass wir das tolerieren, weil Steuerhinterziehung eine weit verbreitete Realität ist und wir es für vertretbar finden, daran zu verdienen, schwadronieren wir von Liberalismus, um den es gar nicht geht.
Statt offen zu sagen, dass jede Gesellschaft eine ganze Reihe von Gefallenen, Alten, Kranken, Schwachen mittragen muss, und dass ein Missbrauch dieser Solidarität nur bis zu einem gewissen Grad überhaupt feststellbar ist, entwickeln wir komplizierte Messsysteme, die Leiden in Prozentzahlen ausdrücken sollen.
Überhaupt, die Quantifizierung. Statt anzuerkennen, dass das beste Mittel gegen Katastrophen genau jene offene Ehrlichkeit ist, die uns abgeht, erfinden wir allerlei Messsysteme, Checklisten und Vorschriften, die uns in Scheinsicherheit wiegen.
Und da wundert sich noch jemand, dass sich eine ganze Generation ins ironische Hipstertum verabschiedet.
P. S. Ich bin fest davon überzeugt, dass es uns im deutschsprachigen Raum besonders stark an diesem Mut mangelt, und dass wir besonders gerne in Scheinsicherheit leben. Das kann ich jedoch nie und nimmer belegen, vermutlich finde ich auch keinen Experten, der es sagt. Und darum kann ich es hier in meinem Blog schreiben, mutmasslich aber nicht in einer seriösen Zeitung.
P. P. S. Warum können wir so etwas nicht? Stattdessen schimpfen die deutschen Medien mit Steinbrück, der genau das offen sagte.
