In knapp vier Wochen stimmen wir hier in der Schweiz über die “Volksinitiative gegen Masseneinwanderung” ab. Es geht dabei um Folgendes: Seit 2002 dürfen EU-Bürger frei am Schweizer Arbeitsmarkt teilnehmen (und umgekehrt).
Die Initianten wollen das ändern. Unternehmen, Universitäten und Spitäler sollen künftig wieder eine Bewilligung einholen müssen, wenn sie eine Ingenieurin, einen Doktoranden oder eine Ärztin mit EU-Pass einstellen wollen. “Der Staat bestimmt ein jährliches Kontingent”, heisst es dazu im Initiativtext.
Verehrte Mitbürger, ich darf Ihnen freundlich als Ihre politische Alternative vorstellen: SVP, die Bürokratenpartei. Und das unverfrorenste Public-Relations-Talent der Nation.
Seit Jahren inszeniert sich unsere Volkspartei nämlich ungerührt als erste Kämpferin für die Freiheit und gegen Bürokratie – während sie in Wirklichkeit eifrig für einen grösseren Staatsapparat sorgt. Seltsamerweise fällt das kaum jemandem auf. Man schimpft aus allerlei Gründen und hoch empört auf die SVP, die meiner Ansicht nach wirklich schlagkräftige Kritik aber fehlt: Diese Partei hält nicht, was sie verspricht.
Das zeigt sich im Parlament. Jährlich deponieren SVP-ler dort durchschnittlich 8 Vorstösse pro Fraktionsmitglied. Eine Zahl, die nur noch von den Bürokraten vom anderen politischen Flügel, der SP, übertroffen wird (10, FDP 5, CVP 7). Insgesamt hatten SVP-Parlamentarier letztes Jahr 505 Anliegen (SP 580, FDP 210, CVP 314). Wenig überraschend befassen sich viele davon mit Details.
Erinnern Sie sich an die über die Landesgrenzen hinaus bekannt gewordenen Lachanfälle der Bundesräte Hans-Rudolf Merz (Bündnerfleisch) und Doris Leuthard (Gymkhana-Prüfungen für Pferde)?
Genau: Anfragen aus der SVP. (Es ging in einem Fall um Kontingente. Im anderen um Geld.)
Eine Flut von Gutachten
In der Invalidenversicherung hat die von der SVP getriebene Misstrauenspolitik zu einer teuren Flut an Gutachten, Beschwerden und Gerichtsprozessen geführt. Dies, ohne dass sich die Gesamtbilanz der Schweizer Sozialversicherungen seit 2001 wesentlich verbessert hätte (Einnahmen und Ausgaben sind im Gleichtakt um 3 Prozent gestiegen) – der Aufwand wird einfach zwischen den einzelnen Kassen verschoben. Die Probleme der Menschen verschwinden nämlich nicht.
Die SVP ist es auch, mit der Linken in Aufholposition, die das Land mit Volksinitiativen überzieht. In den letzten drei Jahren bescherten SVP-nahe Komitees uns Abstimmungen zur Volkswahl des Bundesrats, zur Familieninitiative, zum Bau von Minaretten, zur Volksabstimmung bei Staatsverträgen und jetzt, am 9. Februar, zur Masseneinwanderungsinitiative.
Sie nahm ich nun zum Anlass für diese kurze Vorstellungsrunde. Denn sie zeigt exemplarisch, dass man die SVP aus den unterschiedlichsten Gründen unterstützen kann – aus Freiheitsliebe und Abneigung gegen den Staatsapparat aber sicher nicht. Die Initiative will abschaffen, dass Unternehmen so unkompliziert wie nie zuvor Menschen aus den europäischen Nachbarländern anstellen können. Und stattdessen “jährliche Kontingente” einführen. Käme eine solche Idee von der Linken – aus deren Reihen bezeichnenderweise Sympathie laut wird – die SVP würde sie als direkten Weg in den absolutistischen Zentralstaat geisseln.
Also, liebe Mitbürger. Unterstützen Sie die SVP, wenn Sie Bauer sind und an Zöllen interessiert, wenn Sie grundsätzlich nicht zuviele Leute aus dem Ausland hier haben wollen, wenn Sie Kontrollen und Kontingente mögen oder den anti-elitären Stil der Partei. Wählen Sie sie aus welchen Gründen auch immer. Wenn es Ihnen aber tatsächlich um Freiheit und Bürokratieabbau geht, dann unterstützen Sie… nun ja. Ich sehe das Problem. Aber jedenfalls nicht die SVP.
P. S. Ich werde ein Nein einlegen.
Aus zwei Gründen. Erstens soll der Beste einen Job bekommen, und nicht der, der zufällig einen Schweizerpass hat. Wer der Beste ist, entscheidet der Arbeitgeber. Zweitens finde ich es sinnvoll, am offenen europäischen Markt teilzuhaben. (Offen mit Abstrichen: Viele Branchen, allen voran Landwirtschaft und Pharma, sind nach wie vor geschützt.)
Ausserdem müssen wir gründlicher nachdenken, wie wir mit steigendem Energiebedarf, mit der Zersiedelung, der zunehmenden Geschwindigkeit, immer vielfältigeren Lebensentwürfen und Wertemodellen umgehen. Diese unoriginelle Idee hier hilft einfach nicht. Punkt.
Nachtrag:
Ich mag zwar keine Clubs – aber super Sache.
Autoren: Laura de Weck, Fanny de Weck