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Vor wenigen Tagen durfte ich im Theater Neumarkt mithelfen, dass sich Podium und Publikum näherkamen. Auf der Bühne sassen junge Menschen von 1968: Christoph Blocher, Elisabeth Michel-Alder, Remo Largo, Georg Kohler, Robert Nef. Sie diskutierten lebendig wie einst, und - wow! - was für eine Generation voller Kraft und Trotz: Es ging um Werte, Kämpfe, Ideen. Und im Laufe des Abends zunehmend um eine leise Trauer: Warum träumt heute niemand mehr? Wo sind die Utopien hin?
Ich fuhr danach heim durch die dunkle Stadt. Ich dachte an meine fragmentierte Grossfamilie, meine in der Welt verstreuten Freunde, mein verstreutes Ich, und fragte mich: Wie lässt sich heute überhaupt noch etwas Allgemeingültiges sagen, auf irgendeiner Bühne in irgendeinem Theater?
Ich spüre heute nur eine einzige Allgemeingültigkeit: Dass sich die Menschen nach Geborgenheit sehnen. Nach Orientierung, nach Gemeinschaft. Sie haben Angst. Was sie suchen, ist eben gerade nicht ein verrückter Un-Ort. Es ist ein Ort.
Es ist in die Luft gesprengt
Die Damen und Herren, die an diesem Abend auf dem Podium sassen, stammen aus einer Lebenswirklichkeit, die auf mich wie ein Standbild aus einem Heimatfilm wirkt: alle jung, weiss, gesund. Die Universität in der sauberen Deutschschweizer Heimatstadt. Stabile Familien, behütete und geführte Kinder, feste Geschlechterrollen, unerschütterliche Autoritäten, über allem noch der Schatten des Totalitarismus. Erstaunlich wenige Reisen durch die Welt. Kein Wunder, sehnte man sich danach, das alles in die Luft zu sprengen.
Nun, es ist in die Luft gesprengt. Es existiert nur noch als eine Handvoll bittersüsser Bilder neben tausenden anderen Bildern, die an den Bäumen hängen, am Boden liegen, durchs Netz geistern. Was wir heute brauchen, sind darum keine neuen Utopien. Keine weiteren Sprengsätze. Was wir brauchen, ist ein neues Gefühl von Gemeinschaft, für das gemeinsame Menschsein. Ein Miteinander, das wieder etwas mehr Geborgenheit schafft. Und ja, da haben die alten Ideen - Familie, ob gewählt oder tatsächlich verwandt, Freunde, Beruf, Milizarmee, religiöse Gemeinschaft - wichtige Aufgaben. Sie pauschal zu verachten, ist herzlos und ungnädig: Leisten kann sich das nur, wer nie einsam war.
Wir müssen nur schon deshalb mehr Geborgenheit schaffen, weil sie sonst andere anbieten werden: Technokraten in Staaten oder Unternehmen, Fundamentalisten, Fanatiker, Dogmatiker aller Art. Und dann bekommen wir mit der Gemeinschaft ein gefährliches Paket geliefert: Überwachung, Ausgrenzung, Kontrolle.