Ich bin ja in diesem Theaterstück namens “Steuerstreit” angesichts der lausigen Vorstellung schon vor Monaten weggedöst. Sie auch, geben Sie es zu. Doch in der Nacht auf heute bin ich wirklich schlagartig aufgewacht.
Was wir da zu sehen bekommen, ist hohe Kunst: Der CS-Deal ist ein Meisterstück amerikanischer Politik. Ich liebe das. Ich bewundere das. Es gibt einen Donnerschlag, der alle zufrieden macht. Hinter den Kulissen so fein orchestriert, dass er niemandem wirklich weh tut. (Ok, der CS ein wenig, aber die kennt das Spiel.) Yay!
Wut, Wut, Wut auf die Wallstreet
Also, die Sache ist so. Seit Jahren verstossen verschiedene Banken immer wieder gegen das Recht, ohne dass deswegen viel passiert. (Die Verstösse haben damit zu tun, dass sich Banker nicht primär auf das Recht konzentrieren, sondern darauf, “Gottes Arbeit” zu tun. Was bis zu einem gewissen Grad auch richtig ist, aber darum geht es jetzt hier nicht.)
Jedenfalls: Ein Bruchteil der Verstösse ist zwar aufgeflogen – Hypotheken, Libor, Geldwäscherei – und die Banken haben dafür auch Bussen und/oder Entschädigungen bezahlt. Was aber nicht passiert ist: Kein bedeutendes Finanzinstitut seit der Investmentbank Drexel Burnham Lebert im Jahr 1989 hat je eine Strafklage bekommen und sich öffentlich schuldig bekannt. Das ist 25 Jahre (!) her. Amerikanische Staatanwälte begründen das damit, dass eine Strafklage mitsamt Schuldeingeständnis die betreffende Bank umbringen und das gesamte System destabilisieren würde. “Too big to jail”, Sie kennen das. (Falls nicht: Sehen Sie sich “The Untouchables” an oder lesen Sie das fantastische Buch “The Divide” von Matt Taibbi.)
Holder wählt den perfekten Moment
Mittlerweile ist aber die amerikanische Bevölkerung so wütend über die ständige Abkassiererei und Verantwortungslosigkeit, dass Nichtstun politisch keine Option mehr ist. Die Wut richtet sich insbesondere gegen den obersten Staatsanwalt und Justizminister Eric Holder, und das zu Recht.
Holder ist seit Herbst 2008 im Amt. Die Anzahl Strafprozesse, die er seither gegen bedeutende Finanzinstitute geführt hat, beträgt: Null. Das ist allerdings wenig überraschend. Holder gilt in den USA als einer der Begründer der Doktrin, dass Strafklagen gegen Banken das gesamte System gefährden, sozusagen also eine Frechheit des Staates sind. Bereits 1999 hielt der damalige Vize-Generalstaatsanwalt in einem internen Memo fest, dass bei Strafklagen gegen Unternehmen vorsichtig vorgegangen werden müsse. (Was, erneut, bis zu einem gewissen Grad richtig ist.) Darin steht unter anderem: Staatsanwälte sollten die “Kollateralschäden” bedenken, wenn sie über Strafklagen gegen Unternehmen nachdenken.
Nun aber rufen die Menschen nach einer Beute. Zuletzt hat sogar der Senat Eric Holder herbei zitiert. Er erhielt einen scharfen öffentlichen Brief von zwei Senatoren, der danach fragte, wer ihn eigentlich dabei berate, eine Bank wegen Systemrelevanz vor der Strafverfolgung zu schonen. Eric Holder musste handeln. Und das hat er getan. In einem sehr smart gewählten Moment.
Goldman zieht mit
Es geht um die Credit Suisse, also eine Schweizer Bank, keine amerikanische. Es geht um Steuerdelikte, also unpatriotische Akte. Es gab eigentlich nur ein Problem: Eine Strafklage könnte tatsächlich das System destabilisieren. Denn die CS ist für die Wallstreet wichtiger, als es Lehman Brothers je war.
Also galt es, die Wallstreet einschwören. Zum einen mit dem, was sich im Business “expectation management” nennt: Man streut Hinweise, dass bald etwas kommt. (Das sind die Momente, in denen die Journalisten eingesetzt werden, die sich dann als Rechercheure fühlen dürfen.) Es gab also Nachrichten. Und es gab einen ziemlich eindeutigen Tweet, den die allermeisten Menschen nicht sahen – die Wallstreet aber sehr wohl.
You can expect that before long a significant financial institution will be charged with a felony or be made to plead guilty to a felony
— SDNYnews (@SDNYnews) March 31, 2014
Gezwitschert hat ihn die Staatsanwaltschaft des Southern District of New York, also das Büro von Preet Bharara. Oh ja, den kennen wir gut. Erwartungsmanagement also, zum einen.
Zum anderen sprang der Mann ein, ohne den an der Wallstreet gar nichts geht: Lloyd Blankfein, Chef von Goldman Sachs und somit der mächtigste Banker auf Erden. Blankfein trat auf, um der Credit Suisse Schützenhilfe zu gewähren. Falls tatsächlich etwas auf die CS (und die französische BNP Paribas) zukomme, hoffe man natürlich, “dass es nicht existenziell ist”, sagte Blankfein. Und dann:
“Wir haben eine Rolle in diesem System, und wenn wir mit jemandem nicht mehr handeln würden, so wäre dies ein verschärftes Risiko für das System. Das ist ein schwerwiegender Entscheid, und wir würden ihn nicht leichtfertig fällen.”
Das ist nicht einfach eine schlichte Analyse. Das ist ein klares Signal an die Branche: Wir werden die Credit Suisse nicht fallen lassen, und Ihr solltet es auch nicht tun.
Ich kann natürlich nicht davon ausgehen, dass Holder Blankfein direkt vorinformierte. Aber sagen wir es mal so: Es wäre eine historische Ausnahmesituation, wenn Goldman einmal nicht im Vorfeld wüsste, was Washington im Umfeld der Finanzbranche plant.
Champagner für alle!
In der Nacht auf Dienstag schliesslich präsentierte Holder die Strafklage gegen die Credit Suisse, Sie finden sie hier. Gleichzeitig präsentierten das DOJ und die Bank ihre umfassende und abschliessende Einigung. Die CS zahlt 2,8 Milliarden US-Dollar, gut die Hälfte davon mal so aus dem laufenden Quartal.
Das sind wirklich gute Nachrichten für alle.
Ich finde, das ist wirklich sehr elegant. Nicht?