Am Berg

Die Outdoorfirma Mammut ist eine der beliebtesten Marken der Schweiz. Jetzt wird sie verkauft. Die Geschichte eines steilen Aufstiegs – und des eisigen Windes der Konkurrenz.

"Ein Gipfel gehört dir erst, wenn du wieder unten bist – denn vorher gehörst du ihm."
Hans Kammerlander, Extrembergsteiger

Der April 2016 war so wechselhaft, wie ein Monat es nur sein kann. Erst war es Frühling. Am selben Tag, an dem das Wetter umschlug und bald Schnee bis ins Mittelland fiel, gab Rolf Schmid, Chef des Outdoor­herstellers Mammut, ein Interview. «Mammut wird keine Schickimicki-Marke», sagte er. Schliesslich wolle Mammut «am Berg taugen», und Lifestyle-Marken könnten kein Outdoor produzieren. «Die Funktion wird bei uns immer oberste Priorität haben.»

Nur 32 Tage später trat Schmid als CEO sehr plötzlich zurück – nach 16 Jahren im Amt. Und wenige Saisons später betraten die Verkaufs­experten der grössten Outdoor­firma der Schweiz ein Sitzungs­zimmer, wo sich eine Schaufenster­puppe in einer fetten, glänzenden Goldjacke vor ihren entsetzten Gästen aufplusterte. Bis heute erzählen die Angestellten mit Schaudern davon: eine Goldjacke von Mammut.

Der neue Chef war von der Münchner Luxus-Skimarke Bogner zur Traditions­firma gekommen. Mammuts Turbulenzen hatten da längst begonnen. Sie haben ein wenig mit Goldjacken zu tun – und noch mehr damit, wie Kapitalismus funktioniert.

1. Aufbruch im Morgengrauen
Märkte sind, anders als der Mythos es will, nicht gottgegeben. Sie werden von Menschen geschaffen. Und manchmal hat man das Glück, genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein: kurz bevor die Sonne aufgeht.

So wie Mammut.

1862 hatte ein Kaspar Tanner im aargauischen Dintikon damit begonnen, Seile herzustellen. Es waren ausnehmend robuste Seile. Drei Generationen später hatten die Nachfolger die Idee, sie als «Mammut Seile» zu vermarkten. Im Laufe der Jahre kamen weitere Spezial­seile sowie Hosen und Bergjacken hinzu, und so werkelte das KMU wie viele andere mit durchzogenem Erfolg in seiner Nische. Bis Ende des 20. Jahrhunderts – Mammut war mittlerweile zwei Dörfer weiter in Seon zu Hause – zwei Dinge geschahen.

  • Ein Investor. Der Unter­nehmer Jacob Schmidheiny, einer der finanz­kräftigsten Investoren des Landes, steigt 1982 bei Mammut ein. Jacob Schmidheiny, der sein Geld eigentlich mit Ziegeln und Zement verdient, tut dies, weil er den von ihm mitkontrollierten Industrie­konzern mit dem späteren Namen Conzzeta führt wie ein privates Vermögens­portfolio: diversifiziert. Eine Bergsport­firma passt streng genommen nicht zu den anderen Geschäfts­bereichen – Beton, später Blech­bearbeitung, Schaum­stoffe, Maschinen. Aus einer Portfolio-Perspektive aber machte genau das Mammut so attraktiv: Harzt es am einen Ort, läuft es am andern. Mammut bedeutete für Schmidheiny eine attraktive Anlage. (Und später eine grosse persönliche Freude, wie Bekannte von damals sagen. Weil man in der Öffentlichkeit Mammut im Gegensatz zu den Maschinen und Schaum­stoffen kannte.) Der Investor bedeutete für Mammut: Möglichkeiten.

  • Die Geburt eines Marktes. Bis weit in die 1980er-Jahre surften, campten, trekkten und kletterten vor allem Pioniere – ein Haufen Idealisten und Abenteurerinnen, die ihre Surfboards, ihre Zelte und ihre Ausrüstung selber herstellten. Jetzt begannen die Firmen zu professionalisieren. Und zwar von dort aus, wo die Sonne des Konsums besonders hell auf die Berggipfel scheint: den USA. The North Face, Columbia, Patagonia, Burton, Timberland, Marmot – sie rissen den Horizont weit auf. Sie bauten Liefer­ketten und Läden auf, steckten Energie und Geld in Design und dramatische Foto­expeditionen, organisierten Wettkämpfe, statteten Athletinnen aus. Kurz: Sie schufen einen Markt, der zuvor nicht existierte.

Und die winzige Firma Mammut aus Seon AG hatte das Geld, den Schneid und die richtigen Leute, um ihre Chance zu nutzen.

2. Aufstieg
Als in Kalifornien, Colorado und Vermont – später auch in Deutschland, Frankreich, Norditalien, der Schweiz – das Outdoor­fieber ausbrach, hatte Mammut einen entscheidenden Vorteil. Nämlich den, dass es stets leichter ist, einer ernsthaften Marke etwas Glamour zu verleihen als umgekehrt.

Mammut war Mitte der 1990er-Jahre im Kern ein Tech-Unternehmen. Eine Spezialisten­firma, geprägt von der Präzision und Verlässlichkeit von Bergsteigern. Ihre Seile und Gurte galten als makellos; bereits 1978 brachte Mammut erste Hosen mit Goretex auf den Markt. Die Substanz war da – was fehlte, war der Style. Und der Erfolg: Mammut schrieb rote Zahlen.

Rolf Schmid kam 1996 mit 36 Jahren und «mit null Affinität zum Bergsport» an Bord, wie er später der «Aargauer Zeitung» sagte, und begann, das Unter­nehmen umzupflügen. Schmid baute die Forschung und Entwicklung auf und liess sie Hunderte neue Produkte entwerfen: Shirts und Pullover, Rucksäcke, Schlafsäcke, Jacken und Hosen. Kleider nicht mehr nur für Extrem­bergsteigerinnen, sondern für jeden, der sportlich wirken wollte. Vor allem aber entwickelten Schmid und sein Team eine der schlagkräftigsten Marketing­maschinen des Landes.

Mammut stattete eigene Elite-Athleten aus und liess sie öffentlich inszeniert Berge erklimmen, kleidete Skilehrer ein oder lud Hunderte Winter­sportle­rinnen aus aller Welt zu spektakulären Massentests von Mammut-Skiausrüstung – alle in knallroten Pullovern, mitsamt aufblasbarem Riesen-Mammut und Party im Iglu. «Es war ein Traum», sagt einer, der damals mit der Firma wuchs und ins Management aufstieg. «Eine einzige grosse Spiel­wiese, und es ging immer nur bergauf.» Schmid selber sagte später einmal, er habe «die richtigen Mitarbeiter» gehabt «und das für einen Turnaround nötige Geld». Eben: Möglichkeiten.

Das wirkte. Von 1999 bis 2012 steigerte Mammut den Umsatz von 70 auf 233 Millionen Franken. Die Aargauer lieferten der Mutter­firma jedes Jahr zuverlässig satte Gewinne ab. Und es wurde normal, nicht nur auf Jura­höhen­wegen, sondern auch auf Parade­plätzen und Boulevards in leuchtenden Softshell-Jacken zu marschieren.

2012 nahm Mammut noch einmal richtig Anlauf. Zum 150-Jahr-Jubiläum bestiegen Teams über Monate hinweg insgesamt 150 Berggipfel auf der ganzen Welt – mitsamt knallroten Zelten auf dem Jungfraujoch. Die Bilder des «Peak Project» gingen um die Welt. Und Mammut gewann, wie so oft in diesen Jahren, dafür einen Werberpreis.

Doch während Umsatz und Laune bei Mammut und Conzzeta immer weiter stiegen, war die Luft längst schleichend dünn geworden. Der Horizont, eben noch weit und hell, hatte sich verdüstert.

3. Wolken am Horizont
Das Problem an Geld ist, dass es stets noch mehr Geld anzieht. Das bedeutet: Konkurrenz.

Nicht nur Mammut begriff Ende der 1990er-Jahre, dass mit Bergsport, Wandern oder Campen viel zu verdienen ist. Auch viele andere Marken bauten aus. Sportartikel­hersteller wie Adidas investierten nun in Gebiete, die früher nur Spezialistinnen bewirtschafteten. Vielleicht nicht am Berg, mindestens aber am Hügel standen sich alte Skimarken (beispielsweise Salomon), Trekking­experten (Merrell), Allrounder (Adidas) und Berg­spezialistinnen (Mammut) auf den Füssen herum. 2013 verkaufte Mammut erstmals seit über einem Jahrzehnt gerade nur gleich viel wie im Jahr zuvor.

Ein Schock.

«Davor hat man uns die Ware fast aus den Händen gerissen», sagt einer, der die immer häufigeren Krisen­sitzungen miterlebte. «Jetzt wurde es knallhart. Wir standen Stunden und Tage vor riesigen Charts und redeten immer über eines: Positionierung.» Wo gab es noch Platz für Mammut? Wohin konnte man weiterwachsen?

Für CEO Schmid war die Haltung klar. Eben: «Mammut wird keine Schickimicki-Marke.» Es war diese Überzeugung, die ihm letztlich zum Verhängnis werden sollte. Doch Mammut machte auch Fehler.

4. Falsche Fährte
Der wohl wichtigste Fehler hat viel mit dem menschlichen Hang zur Nostalgie zu tun. Damit, dass Herz und Kopf selbst von kühnsten Unter­nehmens­führern unvermeidlich an dem hängen, was sie kennen. Im Fall von Mammut: an den Fachhändlerinnen.

(...)

(26.10.2020)

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